Weiterbildung ist BürgerInnenrecht (Landesvorstand)
Landesparteitag 21. und 22. September 2001 in Kehl
Antragsteller: Landesvorstand
Der Landesparteitag hat beschlossen:
Die Veränderungen in der Gesellschaft und der Wirtschaft verlangen von Menschen die Bereitschaft zu lebenslangem Lernen.
Ebenso wächst bei Bürgerinnen und Bürgern der Wunsch nach gesellschaftlichem Wissen und nach Werteorientierung.
Die SPD Baden-Württemberg fordert daher eine konsequente Verwirklichung lebenslangen Lernens als Leitvorstellung für alle Bereiche der Bildung. Grundlage hierfür ist ein Gesamtkonzept, das Schulen, Hochschulen und berufliche Bildung einerseits, Kindergärten, Weiterbildung und außerschulische Jugendbildung andererseits umfasst.
Für den bisher in Baden-Württemberg vernachlässigten Bereich Weiterbildung muss gelten:
● Weiterbildung ist ein BürgerInnenrecht, für das die Chancengleichheit aller unabhängig von Einkommen, Geschlecht und Alter gewährleistet sein muss.
● Weiterbildung hat wie die anderen Bildungsbereiche die Aufgabe den Zusammenhalt der Gesellschaft zu fördern und den oder die einzelne zu befähigen soziale Verantwortung zu übernehmen. Dabei darf sich Weiterbildung nicht auf berufliche Weiterbildung verengen, sondern muss politische, gesellschaftliche, kulturelle und gesundheitliche Bildung mit einschließen.
● Weiterbildung muss als Voraussetzung zur Sicherung unseres gesellschaftlichen Wohlstandes verstanden werden.
● Weiterbildung ist keine Privatsache, sondern Schwerpunkt einer zukunftsweisenden Gesellschaftspolitik.
Konkret heißt das für uns:
1. In allen Bildungsregionen des Landes Baden-Württemberg muss es jeweils ein umfassendes Weiterbildungsangebot geben bzw. muss ein solches umfassendes Weiterbildungsangebot aufgebaut werden.
2. Die Weiterbildungseinrichtungen müssen in Netzwerken zusammengefasst werden (siehe ProfiNet der Technologiezentren in Baden-Württemberg).
3. Die Kooperationen zwischen Einrichtungen der betrieblichen und der außerbetrieblichen Weiterbildung muss gewährleistet sein. Die Kooperation der Träger ist auf der Ebene der Bildungsregionen zu fördern.
4. In den Bildungsregionen ist eine neutrale Bildungsberatung einzurichten, die trägerunabhängig ist und für jeden Bürger / jede Bürgerin erreichbar ist und sich selbstverständlich der neuen Medien bedient. Die Bildungsberatung ist durch die öffentliche Hand zu finanzieren.
5. Alle Bildungsträger, die in der Weiterbildung tätig sind, müssen sich einer Qualitätsprüfung unterziehen und werden entsprechend zertifiziert, um so auch z.B. die Umsetzung des Gender Prinzips zu garantieren.
6. Schulen, berufliche Schulen und Hochschulen müssen neben Erststudium und beruflicher Erstausbildung weitere Qualifikationsbausteine anbieten.
7. Ziel muss es sein, die zahlreichen Weiterbildungsangebote so zu modularisieren, dass Zugang für alle Bildungswilligen zu jedem Zeitpunkt besteht. Die Module sind so zu gestalten, dass sie Bestandteile des Bildungsgesamtplans sind.
8. Dozentinnen und Dozenten unterliegen ebenfalls dem Prozess des lebenslangen Lernens. Ihnen muss das Angebot gemacht werden, sich an entsprechenden Bildungseinrichtungen sowohl fachlich als auch pädagogisch weiterzubilden. An den Hochschulen des Landes ist das Angebot im Bereich Erwachsenenpädagogik auszuweiten.
9. Die bei den Lehrenden vorhandene Kompetenz muss grundsätzlich durch eine sich an den Vorstellungen der Erwachsenenpädagogik orientierende Weiterqualifikation ergänzt werden. Diese auf der pädagogischen Grundausbildung aufbauende Zusatzqualifikation ist die Voraussetzung dafür, selbst Weiterbildungsmaßnahmen durchführen zu können.
10. Die Teilnehmer/Innen an diesen Fortbildungsmaßnahmen sind entsprechend ihrer Leistung zu zertifizieren (Qualitätssicherung).
11. Freiberufliche Lehrende bedürfen notwendigerweise einer sozialen Absicherung, die gesetzlich geregelt werden muss.
12. An der Finanzierung dieser Maßnahmen sind Wirtschaft, das Land, Kommunen und die/der Einzelne angemessen zu beteiligen. Dabei muss sichergestellt sein, dass für Personen, die sich nicht an der Finanzierung beteiligen können und auch für Personen, die zeitweise keiner Beschäftigung nachgehen, die Teilhabe an Weiterqualifikation möglich ist.
Da die Finanzierung der Weiterbildung im Rahmen eines Finanzierungskonzepts für das gesamte Bildungswesen eine der zentralen Herausforderungen bei der Gestaltung lebenslangen Lernens ist, sind Landesvorstand und Landtagsfraktion aufgefordert, zu diesem Punkt eine Konzeption zu erarbeiten und dem Landesparteitag vorzuschlagen.
13. Baden-Württemberg braucht ein Weiterbildungsgesetz, das den Rechtsanspruch der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf Weiterbildung und die staatliche Verantwortung für ein Weiterbildungsangebot festschreibt.
Begründung:
Die Forderung nach der Aufhebung der bisherigen klassischen Trennung von Schul- und Erstausbildung und der Fort- und Weiterbildung wird immer lauter, denn der „Beruf fürs Leben„ gehört längst der Vergangenheit an. Dabei richtet sich der Erwerb von zusätzlichen Qualifikationen immer weniger an standardisierten Berufsbilder aus, statt dessen tritt die individuelle Beschäftigungsfähigkeit in den Vordergrund und fachunspezifische Qualifikationen –sogenannte Schlüsselqualifikationen – gewinnen zusätzlich zu den weiterhin benötigten Fach- und Spezialkenntnissen an Bedeutung.
In Baden-Württemberg ist der gleiche Zugang zur Weiterbildung längst nicht umgesetzt. Es gilt immer noch: Je höher auf der Karriereleiter, desto leichter der Zugang zur Weiterbildung und desto besser die Weiterbildungsangebote. Frauen sind durch diese Qualifizierungsstrategie der Betriebe stark benachteiligt. Außerdem ist für Frauen eher die Erreichbarkeit der Weiterbildungseinrichtungen entscheidend.
Ein BürgerInnenrecht auf Weiterbildung kann nur in einer neuen Lernkultur verwirklicht werden, in der Erwachsene das Lernen als sinnvoll für die Lebensbewältigung erfahren können. Deshalb muss gewährleistet werden, dass Lehr- und Lernformen entwickelt werden können, die als belebend, sinnhaft, motivierend und urteilsfördernd empfunden werden.